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Zur personal-ganzheitlichen Sicht der christlichen Ehe in der neueren katholischen Theologie
Dezember 1987

[Deutsche Übersetzung des Italienischen Originals von J. Stöhr und Th. Belmans]


Sieht man die umfangreiche Literatur durch, die in den letzten Jahren zum Thema “Ehe” erschienen ist, so ist man sogleich von einer eigenartigen Tatsache überrascht. in einhelliger Übereinstimmung berufen sich alle Autoren auf den “Personalismus” als einzige Perspektive, die imstande sei, uns einen Zugang zur Wirklichkeit des ehelichen Lebens zu gewähren. Die Folgerungen jedoch, zu denen dann ihre Überlegungen besonders im Bereich der ethischen Reflexion, führen, stehen oft in krassem Widerspruch zueinander. Einerseits wird im Namen einer personalistischen Sicht - zumindest in bestimmten Situationen - die Kontrazeption für erlaubt erklärt; im Namen einer personalistischen Sicht wird von anderer Seite aber auch erklärt, Kontrazeption sei immer und unter allen Umständen unerlaubt. Übereinstimmung in der Prämisse, Widerspruch in den Folgerungen. Diese Tatsache regt zum Nachdenken an.

Schließt man einmal aus, daß es sich einfachhin um einen argumentativen Fehlschluß handeln könnte (von solchen Fehlschlüssen handelt bekanntlich die Logik), so kann dieser Widerspruch m. E. nicht anders als durch folgende Tatsache erklärt werden: Der Ausdruck “personal-ganzheitliche Sicht” deckt zumindest zwei einander schroff widersprechende Bedeutungen. Mit anderen Worten: Der besagte Ausdruck ist ein mehrdeutiger Ausdruck, und diese Zweideutigkeit ist es, die im aktuellen theologisch-katholischen Denken über die Ehe eines der ernstesten Probleme hervorgerufen hat. Deshalb geht es mir an er ster Stelle darum, genauer den “Kern” dieser Zweideutigkeit aufzuzeigen, d. h. den für die Lehre zentralen Punkt dieser Äquivozität.

 

1. Der Ursprung der Zweideutigkeit

 

Der Einzug des Personalismus in die katholisch-theologische Ethik geht an erster Stelle auf die theoretische Absicht zurück, bestimmte Charakterzüge der nachtridentinischen Systematischen Reflexion im ethisch-theologischen Bereich zu überwinden; Züge, die nach dem Urteil der Personalisten die theologische Ethik daran gehindert haben, ein richtiges Verständnis für die menschliche und christliche ethische Erfahrung zu gewinnen. Diese Unzulänglichkeit wird gewöhnlich mit einer Reihe von stets wiederkehrenden Begrifien bezeichnet: “Objektivismus”, “Naturalismus” oder (im Bereich der Ehe) “Biologismus”. In all diesen Termini stecht dieselbe kritische Einschätzung der nachtridentinischen theologischen Ethik: Die ethische Erfahrung iri ihrem Wesen eine eminent subjektive Erfahrung, insofern sie Ausdruck er menschlichen Subjektivität ist, sei dieser Sicht völlig fremd geblieben. Die “personalistische Sicht” sollte nun endlich ebendiese “essentialistisch-objektivistisch-naturalistische Sicht” ersetzen.

Die stufenweise Entfaltung dieses Ansatzpunktes zeigt - wie wir noch sehen werden - daß die ethisch-theologische Reflexion hier zum ersten Mal in kontakt kommt mit dem Schlüsselbegriff der Moderne: der Idee der Subjektivität. Mit anderen Worten: die Überwindung der essentialistischen Sicht forderte im Namen der personalistischen Sicht die Annahme der modernen idee des Subjektes und deren Einführung in die ethisch-theologische Theorie. Gerade hierin besteht m. E. der genaue Kern der ethisch-theologischen Überlegungen, die zur Zeit stattfinden. Es dürfte nicht ganz leicht sein, dies klar darzulegen.

Um diese Schlüsselidee der goderne (die Idee der Subjektivität) zu verstehen, ist es unerläßlich, sie in ihrem Eigentlichen zu erfassen, in ihren Entstehungsmoment, ihrem Ursprung, der im kartesianischen Cogito zu suchen ist.

Facile quidem supponimus nullum esse Deum, nullum caelum, nulla corpora, nosque etiam ipsos non habere... ullum corpus; non autem ideo nos, qui talia cogitamus, nihil esse... Ac proinde haec cognitio, ego cogito, ergo sum est omnium prima et certissima” [Cartesius, Principia philosophiae 1, 7 - Ouvres compl., Paris 1897-1909. vol. 8, p. 6-7].

Zunächst ist einmal festzustellen. Die Aussage “est omnium prima et certissima” darf nicht im selben Sinne verstanden werden, in dem die klassische Metaphysik das Gleiche vom Nicht-Widerspruchsprinzip behauptet. Sie ist in dem Sinne zu verstehen, - wie Thomas lehrt - daß “illud quod primum acquiritur ab intellectu est ens, et id in quo non invenitur ratio entis non est capabile ab intellectu  [Thomas, De causis 6]. Ich darf mich verdeutlichen. Nach dem hl. Thomas ist das Prinzip unserer Erkenntnis das Ens, dasjenige, was den Akt des Seins besitzt; im Widerspruch dazu betrachtet Descartes nicht das Ens, das was aktuell existiert, als primum cognitum, sondern die Erkenntnis selbst, die cognitio, welche für ihn obendrein identisch ist mit dem Sein des denkenden Subjektes: somit wird der reale Unterschied zwischen geistiger Substanz, geistigem Vermögen und den entsprechenden Akten geleugnet: “distinctio rationis est inter substantiam et aliquod eius attributum, sine quo ipsa intelligi non potest”.

Auf diese Weise erhält der Akt des cogito den Charakter eines ursprünglichen Setzungsaktes, eines Altes also, der das Sein selbst, ohne irgendeine Voraussetzung, konstituiert.

Es ist nicht leicht, sich über die garze Macht bzw. theoretische Kraft klarzuwerden, die in dieser kartesianischen Definition der Subjeativität steckt, und die dann in der hegelschen Spekulation zu ihrer vollen Entfaltung gekommen ist. Das Subjekt, von dem hier die Rede ist, erscheint wie ein transzendentales omnia ponens et fundans, und die Subjektivität wird zur Möglichkeit aller Möglichkeiten.

Es gehört nicht zum Themenkreis dieses Vortrages - übrigens hätte ich auch nicht die kompetenz dazu - , alle Derührungspunkte zwischen der katholisch-theologischen Denkbewegung und dem modernen Subjektivitätsbegriff aufzuzeigen. Mein Vorhaben reicht nicht so weit: Es beschränkt sich auf die ethische Reflexion, insofern diese darauf hinzielt - mit Hilfe der modernen Idee der Subjektivität - von einer objektivistischen in eine personalistischen Sicht hinüberzuwechseln. Bei diesem Umstieg von der einen Sicht zur anderen treten drei theore tische Momente an den Tag, die von besonderer Bedeutung sind: der Begriff des sittlichen Gewissens, der Begriff des sittlichen Gesetzes und der Begriff des sittlich Guten und Bösen.

 

A) Daß das Thema des sittlichen Gewissens sich gleich als theoretisch entscheidendes Thema anbietet, um eine “personalistische Sicht” herzustellen, wird von verschiedenen Gesichtspunkten aus deutlich. Die objektive Sicht erschien als Sicht, in der eben das Gewissen, - genauer gesagt, das Gewissensurteil - sich darauf beschränken würde, eine all gemeine Norm auf den jeweiligen Sonderfall anzuwenden. Das Singuläre schien reduziert auf einen Einzelfall eines allgemeinen Gesetzes, eine seiner Exemplifikationen. Nun aber erblickte die personalistische Sicht, die man wiederherstellen wollte, in der genannten Weise das Gewissen zu verstehen die Verneinung der unwiederholbaren Einmaligkeit der Person. Auf der anderen Seite wollte der Schlüsselbegriff der Moderne - der aus der kartesianischen Reflexion entstandene Begriff der Subjektivität - gerade die selbständig kreative Rolle des Gewissens des Einzelnen hervorheben, seine Fähigkeit, dasjenige, was es zu sagen gilt, autonom zu konstituieren. So wurde das Thema des Gewissens zur zentralen Streitpunkt der ethisch-theologischen Diskussion unserer Tage.

 

B) Die Revision des Begriffes des sittlichen Gewissens, vorgenommen, um eine personalistische Ethik aufzubauen, bedeutet unvermeidlich auch die Revision des Begriffes des Sittengesetzes - genauer gesagt, des Begriffes seiner Universalität (Allgemeingültigkeit). Die klassische Bedeutung dieses Begriffes ist bekannt. Universal oder all gemeingültig ist jede Aussage, in der das Prädikat dem Subjekt notwendig zugeschrieben werden muß: eine solche allgemeingültige Aussage zu verneinen, wäre deshalb nicht nur falsch, sondern zugleich in sich widersprüchlich. Foiglich ist es gleichbedeutend zu sagen, es gebe allgemein verbindliche sittliche Gesetze und zu behaupten, bestimate menschliche Akte (d. h. menschliches Handeln, das bei einem ethischen Urteil eben als grammatisches Subjekt einer allgemeinen Aussage fungieren kann), sind semper et pro semper unerlaubt, und weiter bedeutet dies auch, daß ihre Existenz zu leugnen nicht nur falsch, sondern in sich widersprüchlich wäre. Man sollte sich darüber klar sein: dem sittlichen Gewissen in bezug auf moralische Normen eine “Kreativität” zuzuschreiben, ist einfachhia abwegig.

Der Übergang zu einer “personalistischen” Ethik verlangte eine Revision dieses Begriffes der Allgemeingültigkeit. Faktisch hat man sich damit begnügt, ihn als “generalitas” (im-allgemeinen- gültig) umzudeuten: valent ut in pluribus. In einem solchen generellen (bzw. im allgemeinen gültigen) Satz beruht die Zuordnung des Prädikates zum Satzsubjekt auf einer faktischen Gegebenheit, die man unzählige Male festgestellt hat. Folglich wäre die Leugnung eines generell wahren Satzes zwar falsch, aber nicht schon widersprüchlich. Behauptet man daher, die sittlichen Gesetze seien nur generelle bzw. im allgemeinen gültige Aussagen, so ist das gleichbedeutend mit der Behauptung, daß eine bestimmte menschliche Handlungsweise zwar “ut in pluribus” unerlaubt ist - aber mitnichten ist damit gesagt, daß sie auch unerlaubt ist unter den besonderen Umständen, in denen sich der konkret Handelnde befindet. So liegt es schließlich in der Kompetenz des jeweiligen Subiektes, das letzte und definitive Urteil darüber zu fällen, was sittlich gut oder böse ist, - und nicht bei einer unpersönlichen universalen Norm.

 

C) Dieser doppelte theoretische Schritt mußte zwangsläufig zum dritten und wichtigsten hinführen; zur Neu-Definition des sittlich Guten und Bösen überhaupt. Dieses Problem stellt für jede ethische Reflexion die letzte Frage überhaupt dar: Was ist das sittlich Gute und Böse? Welcher Wirklichkeit genau kommt eine solche ethische Qualifikation zu? Nach einer Unterscheidung, auf die später noch ausführlicher zurückzukommen sein wird, und zwar jener zwischen ontisch Gut und Böse und moralisch Gut und Böse, hat die Gutheit oder Schlechtigkeit im streng ethischen Sinne (als Rechtheit unseres freien Handelns) ihren Sitz nicht primo et per se im Sein selbst, sondern in der Übereinstimmung der jeweiligen Entscheidung mit dem Urteil, in dem das Subjekt auf korrekte Weise eine Abwägung von “ontischen” Gütern vornimmt.

Mittels dieses Dreischritts hat man die “personalistische Sicht” erarbeitet, um die für die posttridentinische ethisch-theologische Reflexion typische “essentialistisch-objektivistische Sicht” zu überwinden.

Und jetzt möchte ich diese angebliche personalistische Sicht am Sonderfall der Ehe einer Probe unterziehen, indem ich von einem Einzelpunkt der ehelichen Ethik ausgehe. Es handelt sich um das sittliche Problem der Kontrazeption - ein Problem, das ich immer mehr für ein wirkliches Test-Problem der ehelichen Ethik halte.

Wie allen bekannt ist, - zumindest wird es von niemandem in Zweifel gezogen, - gilt das Urteil der päpstlichen Lehre in dieser Beziehung als fest und beständig. Und ebenso bekannt ist wohl auch die Bestreitung dieser Lehre durch einige Theologen. Und sogar die Argumente, mit denen man diesen Dissens in seinen verschiedenen Formen rechtfertigen will, erweisen sich als theoretisch konstant. Hier sind die drei Punkte, die wir oben kurz erwähnt haben, wieder aufzugreifen.

Das Lehramt bringe die kohärente Anwendung einer essentialistisch-ubjektivistischen Sicht der Ehe zum Ausdruck und widerspreche somit einer “personalistischen Sicht” derselben. In der Tat verwechsele es das ontisch Gut und Böse mit dem sittlich Guten und Bösen: Damit, nehme der Objektivismus den Charakter eines Biologismus an. So gesehen hätten Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit von sich aus und durch sich keinen eigentlich ethischen, sondern nur einen “vor-ethischen” Wert. Das würde bedeuten, daß beide dem Bereich des Ethischen nur angehören, wenn und insoweit sie in die rationale und freie Planung eingehen, die das Subjekt in bezug auf seine eigene Existenz macht. Demzufolge würde die Annahme einer sittlichen Norm, welche die Kontrazeption im Sinne der strikten Allgemeingültigkeit, und nicht nur in ihrer “Allgemeinheit” (valet ut in pluribus, - non valet semper et pro semper), verbietet, bedeuten, daß man den Wert der Person einer infrapersonalen Regel unterwirft, anstatt den Wert und die besondere Würde des sittlichen Gewissen des Einzelnen anzuerkennen.

Der problematische Charakter, der dieser Position sowieso schon anhaftet, hat sich noch weiter kompliziert mit und seit dem Erscheinen der Enzyklika “Familiaris Consortio”, und vor allem mit dem Kommentar, den Johannes Paul II in seinen Mittwochsaudienzen zu “Humanae Vitae” gegeben hat. Darin wird in der Tat die sittliche Vorn als universal gültig bestätigt, und zwar gerade in Bezug auf und als Konsequenz einer personal-ganzheitlichen Sicht der christlichen Ehe.

Angesichts dieser Tatsache gibt es nur zwei Auswege. Entweder ist das Lehramt von Johannes Paul II einem argumentativen Fehlschluß verfallen, wie jemand behauptet hat; oder aber die personal-ganzheitliche Sicht, auf die sich der Papst beruft, ist wesentlich verschieden von derjenigen, welche diejenigen für sich in Anspruch nehmen, die im Namen des Personalismus die Enzyklika “Humanae Vitae” bestreiten. Und so gilt: “res ad triarios venit”; was zur Debatte steht, ist nun das theoretische Wesen des gestellten Problems. Es gibt zwei personalistische Auffassungen (des Menschen und somit auch) der Ehe, die einander widersprechen und über die ein grundsätzliches Urteil gefällt werden muß. Und die Wurzel jeder Zweideutigkeit liegt gerade darin, daß diese zwei Auffassungen mit denselben Ausdrücken formuliert werden. Um nun mit größtmöglichster Genauigkeit den Gegenstand der Kontroverse einzugrenzen, ist folgende Frage zu stellen: ist eine wahrhaft personal-ganzheitliche Sicht der christlichen Ehe denkbar, welche sich dem Schraubstock der falschen, von der Moderne konstruierten Subjektivität entzieht? Auf diese Frage werde ich nun, entsprechend ihren zwei wesentlichen theoretischen Momenten, in den folgenden zwei Punkten zu antworten versuchen.

 

2.1. Für eine personalistische Sicht der christlichen Ehe

 

a) Dar vorzüglichste Weg, um die metaphysische Konstitution der Person zu erforschen, ist m. E. der freie Akt. Das, was ihn von jedem anderen Akt der Person wesentlich unterscheidet. ist die Art und Weise, in der er verursacht wird, wie er vom Subjekt ausgeht. Es handelt sich dabei um einen Akt “ohne Voraussetzungen”. Nichts ist der Person mehr zuinnerst, als der freie Akt: ich erkenne (ein Akt der Intelligenz), weil ich will, ich sehe (ein Akt der Sehkraft), weil ich will, aber ich will auch einfach deshalb, weil ich will. Im eigentlichen und wahren Sinn ist der freie Akt “a se ipso” (aus sich selbst). Diese Weise des Handelns offenbart uns eine entsprechende Seinsweise: die Weise des Insichseins, d. h. der Subsistenz.

Wie der freie Akt uns deutlich macht, ist aber die Subsistenz so beschaffen, daß sie nur dem Geist zukommen kann. Die Intensität der Subsistenz, die einen nicht-geistigen Individuums eignet, ist qualitativ niedriger als die eines geistbegabten Individuums, d. h. einer Person. Die Subsistenz des ersteren ist in der Tat bedingt vom “Zusammenstehen” der Komponenten seiner materiellen Wirklichkeit. Und die moderne Biologie ist tief eingedrungen in die Komposition des lebendigen Individuums und in die Gesetze, die diese beherrschen und die Fortdauer seines Seins sichern. Der Geist hingegen ist in seiner absoluten Einfachheit keineswegs durch Teile bedingt, die ihn zusammensetzen würden. Er existiert in sich und durch sich. Wie Thomas sich nicht scheut zu erklären, stellt das sein des Geistes ein not wendiges und kein kontingentes Sein dar: “absolut” notwendig beim göttlichen Sein - notwendig “ex suppositione” (vorausgesetzt ist der Schöpfungsakt) im Falle des geschaffenen Geistes. Das in und durch sich sein, - so fährt Thomas fort, - ist dem Geistwesen zueigen, wie das Rundsein zum Kreis gehört. Daraus folgt, daß allein der Geist im metaphysischen Sinne Person sein kann: Der Begriff der Person ist koextensiv mit dem Begriff des Geistwesens. Müssen wir daraus schließen, daß im Fall einer menschlichen Person - einer nicht rein geistigen Wirklichkeit - der Leib außerhalb der personalen Wirklichkeit verbleibt? Und somit nicht in die Konstitution der Person eingeht? Daß die Person nicht ihr Leib ist, oder daß der menschliche Leib nicht ein Person-Leib ist? Beachten wir eine Tatsache, die uns unsere Alltagserfahrung bezeugt und die jedenfalls sowieso vor jeglicher Theoretisierung gültig ist. Es handelt sich um folgendes: Ich bin es, der Akte des Erkennens oder der Entscheidung setzt... d. h. wesentlich geistige Akte - Ich bin es, der auch Akte des Sehens und des Hörens zustande bringt, d. h. Akte, die wesentlich nicht geistig sind. Und dieses faktum, nämlich die unmittelbare Erfahrung der Einheit des handelnden Subjektes auf wesentlich verschiedenen Ebenen, muß von jeder Theorie über die menschliche Person gewahrt und berücksichtigt werden.

Eine formalistisch essentialistische Sicht, die der Spätscholastik des Suarez eignete, der auch Descartes zuzurechnen ist und von der sich noch eine große Anzahl katholischer Moraltheologen leiten läßt, ist außerstande, dieser Tatsache gerechtzuwerden und zu erklären, wie der Leib in die Person integriert ist, und so zu einer ganzheitlichen Sicht der menschlichen Person zu gelangen. Wenn man die Intentionalität unseres Erkennens auf das Erfassen von Wesensformen reduziert, dann hat man den Zugang zu einer Ganzheitssicht bereits verbaut, Jede Wesenheit ist ja ausschließlich sie selbst und nichts anderes. Der Leib ist nicht der Geist, und der Geist ist nicht der Leib. Darin zeigt sich eine substantielle Reduktion der Intentionalität des Erkennens. Das erste Erfassen des Intellektes bezieht sich nicht auf die Wesenheit, sondern auf das Sein als Seins-Akt (actus essendi) von etwas. Das Sein ist nicht eine Wesenheit, und zwar eine ganz Unbestimmte, - wie jede formalistische Sicht meint - eine Wesenheit, zu der man erst als Endergebnis eines vollständigen Abstraktionsprozesses gelangen würde. Das Sein oder Seiende (Ens) ist als zuerst Gedachtes (primum cognitum) eben dasjenige, was alles übrige erkennen läßt (omnia faciens cognoscere). Nun ist das Sein entsprechend der ihm eigenen Intensität mitteilbar, da es jede Wesenheit überschreitet. Und der Seinsakt (actus essendi), der dem Geist zueigen ist, wird dem Leib so mitgeteilt, daß der Seinsakt des Geistes und des Leibes ein und der selbe ist: Zum Geist gehört er primo et per se, zum Leib durch partizipierte Mitteilung. Diese Identität des Seinsaktes konstituiert die substantielle Einheit der menschlichen Person, kraft derer diese - als Sonderfall im Reich der Personen - “eine leibhafte Person ist und der menschliche Leib einen Personleib darstellt”. Der Leib geht ein in die metaphysische Konstitution der menschlichen Person - und deshalb steht alles, was in sittlicher Hinsicht der Person geschuldet wird, aufgrund desselben Rechtsanspruches auch dem menschlichen Leib zu. Eine Sicht der “essentialistischen” Metaphysik ist außerstande, eine personalistische Sicht zu begründen; findet sich doch ein wichtiges Element aus dem wesentlich menschlichen Erfahrungsbereich unerbittlich von ihr ausgeschlossen. Trotz gegenteiliger Erklärungen bleibt sie stets eine anti-personalistische Sicht. So gilt: Die Seinsmetaphysik und die personalistische Metaphysik stehen oder fallen zugleich: simul stant aut cadunt.

Zum Abschluß dieses ersten Schrittes unserer Überlegungen können wir sagen: Auch das Biologisch-Menschliche fordert eine Antwort ethischer Art, das heißt eine Antwort, die man den wahren und eigentlichen personalen Werten schuldet.

 

B) Es gibt jedoch noch einen weiteren Punkt von größter theoretischer und ethischer Wichtigkeit zu bedenken, wenn man eine personal-ganzheitliche Sicht des Menschen, - als Grundlage einer personal-ganzheitlichen Sicht der christlichen Ehe - gewinnen will. Gemeint ist eine rigorose Einschränkung des Begriffes der Kreativität des menschlichen Geistes. Scheinbar verlangt eine wahrhaft personalistische Sicht, ganz allgemein und besonders in es um die Ehe geht, nicht nur, daß man das Biologische als etwas für eine ethische Bewerrung Unwürdiges ansieht, sondern auch noch viel radikaler, daß man dein Geist, kurz gesagt: der Person, das Vermdgen zuschreibt, autonom ihren Gegenstand zu konstituieren. Meine Antwort darauf lautet: Wie die obengenannte Einschätzung des Biologischer im Menschen in Wirklichkeit eine anti-personale in anti-gaizheitliche Sicht des Menschen darstellt (siehe oben), so gilt m. E. nech viel mehr, daß diese Auffassung eines “kreativen” Geistes eher eine personalistische Rhetorik als ein echter Personalismus ist.

In Bezug auf unser Problem stellt Thomas im Artikel 2 der Quaestio I De Veritate die theoretisch entscheidende Frage: Ist der Mensch (das menschliche Erkennen) das Maß der Wirklichkeit, oder ist die Wirklichkeit saß für den Menschen: Seine Antwort ist sehr deutlich. Sie beginnt damit, zwei Arten von Wirklichkeit zu unterscheiden, die er folgendermaßen bezeichnet: res naturales - res artificiales. Ich möchte dies so übersetzen: Wirklichkeiten, auf die der Mensch keinen Einfluß genommen hat, oder die er allgemein, abstrahierend von jeglicher Intervention seinerseits, betrachtet, - und Wirklichkeiten, die das, was sie sind, nur auf Grund menschlicher Einwirkung sind. Wie man sieht, bringt er hier die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich, Diese Unterscheidung vorausgesetzt, formuliert Thomas nun seine erste Antwort: In bezug auf eine künstliche Wirklichkeit ist der Mensch das Maß, aber die natürliche Wirklichkeit ist das Maß des Menschen. Bleiben wir einmal einen Augenblick stehen bei der Erörterung dieser Thomas-Stelle, um diesen Punkt möglichst genau zu überdenken.

Zunächst möchte ich die Frage einmal neu formulieren: Ist die “Kreativität” des geschaffenen Geistes im Sinne eines von keinen Gegebenheiten her begrenzten Prinzips zu verstehen, so daß letztlich und grundsätzlich sie selbst die ursprüngliche Quelle jedes Sinnes darstellt? Hier sind wir bei der zentralen Frage unserer ganzen Überlegung. In der Tat, falls diese Frage bejaht werden muß, dann wäre jede Sicht des Menschen und der Ehe, bei der sie verneint wird, eine unpersonale und nicht-ganzheitliche Sicht. Muß jedoch die Antwort nein sein, dann erweist sich die Konstruktion einer Theorie der Ehe auf dem Boden der Kreativität unseres Geistes als eine Zerstörung des Menschen - mag sie sich auch hinter einem rhetorischen Lob des Personalismus verstecken.

Eine sorgfältige Phänomenologie der ethischen Erfahrung bahnt uns den Weg für die gesuchte Antwort. Diese Erfahrung entsteht sozusagen aus der Anziehungskraft zweier Pole. Als Sokrates in der Nacht vor seiner linrichtung von seinen Freunden vor die Notwendigkeit gestellt wird, entweder zu fliehen, oder aber dem Tode ins Auge zu sehen, da weiß er, daß es sich um eine Wahl und einen Entschluß handelt, der ausschließlich der seine ist. Niemand kann seine Stelle einnehmen; von seiner Entscheidung, und von ihr allein, hängt der letzte Sinn seiner ganzen Existenz ab. Aber zugleich ist er sich auch klar bewußt, daß jeder Mensch an seiner Stelle sich dazu hätte entscheiden müssen, nicht die Flucht zu ergreifen, sondern in der Tod zu gehen. Darüber diskutiert er nicht einmal mehr mit seinen Freunden; so wahr ist es, und so sicher ist er, daß diese seinen Entschluß verstehen können und gutheißen müssen. Er verschließt sich nicht in die Stummheit dessen, der sagt: “Es hat keinen Zweck, mit euch zu diskutieren; das ist eine Sache, die ausschließlich mich betrifft und die ihr nicht verstehen Könnt.” Die Erfahrung, die Sokrates erlebt, versetzt ihn in einen geistigen Raum, in dem seine Singularität sich mit einer Forderung allgemeingültigen Charakters konfrontiert findet: Man muß sich viel mehr davor hüten, Unrecht zu begehen, als es zu ertragen [Gorgias 527]. Dieser Anspruch ergeht an Sokrates nicht von außen her; er steht sogar seinem Lebenserhaltungstrieb direkt entgegen. Er geht ihm auf als Ausdruck und offenbarung seines wahren ich, der Wahrheit seiner Subjektivität. Einer Wahrheit, über die seine Freiheit nicht verfügen kann, von der sie aber konstituiert wird - über die sie nicht Herrin ist, sondern der sie unterworfen ist.

Die Erfahrung, die jeder Märtyrer macht - und das ist die vollendete Erfahrung im ethischen Bereich - bestätigt diese Phänomenologie des Sittlichen, die zuerst von Platon skizziert worden ist, und die täglich neu von der Erfahrung eines jeden von uns bewahrheitet wird. Ich werde versuchen, sie etwas weniger streng begrifflich zu formulieren: Der freie Entschluß einer Person offenbart den tiefsten Sinn ihrer Existenz. Im Augenblick ihrer Wahlentscheidung hat die Person das Bewußtsein einer ihrem Sein selbst, ihrem Person-Sein eingeschriebenen Wahrheit. Die zwei Momente des geistigen Lebens (Freiheit und Wahrheit) sind allerdings nicht parallel, sondern vielmehr in wechselseitigem Ineinander gegeben. Die Freiheit stellt nicht den letzten Sinn der personalen Existenz neben der Wahrheit des Person-Seins dar. In ihrem konstituierendem Akt trägt die Freiheit das Erfordernis des Person-Seins bereits in sich. Der Wahrheitsanspruch des Personseins zeigt sich in seiner spezifisch menschlichen Form, (der sittlichen Form) in der Betätigung der Freiheit. Das letzte Fundament dieser “Perichorese” Hegt in der thomistischen These, daß unsere Vermögen in der identischen Wesenheit des Geistes wurzeln, und zwar in einer bestimmten Rangordnung (secundum prius et posterius).

Wo man diese zweipolige Spannung zerreißt, verfällt man geradewegs in den Anti-Personalismus. Dieser Rückfall kann zwei formen annehmen. Die erste ist kennzeichnend für den scholastischen Essentialismus: Die Freiheit wird auf ein Moment einer äußeren Ordnung, und zwar einer allgemein gültigen und notwendigen Ordnung reduziert, auf ein Fragment eines Ganzen, wodurch das Eigentümliche des Personseins im Gesamtbereich des Seins untergeht.

Die zweite Form ist typisch für den modernen ästhetischen Subjektivismus (im Kierkegaardschen Sinn des Wortes): Die Freiheit wird reduziert zur leeren Möglichkeit aller Möglichkeiten, und somit wird der “Ernstfall”, der dann einfach schon durch die Tatsache des Person-Seins zustande kommt, ausgeräumt, und der Personalismus entartet zu einer bloßen rhetorischen Spiel.

Kehren wir aber zu unserer Frage zurück. Folgendes möchte ich darauf antworten: Die “Kreativität” eines geschaffenen Geistes ist begrenzt durch die Gegebenheit des person-Seins, so daß letzten Endes der geschaffene Geist im Sinne eines Prinzips nicht ursprüngliche Quelle des Sinnes darstellt, insofern dieser Sinn ja bereits innerhalb der Freineit selbst gegeben ist. Die Leugnung dieser Wahrheit kann auf zu zwei möglichen Ergebnissen führen. Entweder wird die Entwicklung der personalen Existenz als ein homogenes, logisches, und infolgedessen notwendiges Sich-Verwirklichen einer Vernunft verstanden, die kraft einer inneren Dialektik zu sich selber und somit zu ihrer Vollendung gelangt (Hegel). Gegen diesen Lösungsversuch hat bereits Kierkegaard (im Sinne des großen klassischen Personalismus: Augustinus, Pascal, Newman) den entscheidenden Einwand vorgebracht: Hier wird die Wahrheit zur Subjektivität!

Die andere Lösung lautet wie folgt: Die Entfaltung der personalen Existenz beseht grundsätzlich und ausschließlich in der Betätigung einer Freiheit, die im Sinne eines Prinzips gar nichts voraussetzt: Das bedeutet den reinen Praktizismus, in dem letzten Endes die Betätigung der Freiheit zum bloßen Spiel wird. Einzige Normen sind nur noch die vom sozialen Konsens statuierten “Spielregeln”. Freiheit entartet hier zur reinen Möglichkeit, der keine Notwendigkeit irgendwelcher Wahrheit gegenübersteht. Nochmals, es war Nietzsche, der (in einem Abschnitt seines Zarathustra) diese Rhetorik der Freiheit entlarvt hat [Zitat noch nicht gefunden!]: “Das Vergangene erlösen und umgestalten und das Gewesene wahr umgestalten in ein 'So habe ich es gewollt', das allein scheint mir Erlösung! Wille, so nennt sich das, was befreit und Freude schenkt... Aber jetzt lernt dieses: Der Wille selbst ist ein Gefangener. Wollen befreit, aber wie nennt man das, was seinerseits den Befreier in Ketten legt? 'Gewesen' so nennt man das Zähneknirschen des Willens und die einsamste Traurigkeit, die Zeit nicht zerbrechen können, ist die Lust der Zeit, das ist die einsamste Traurigkeit des Willens”.

Zum Schluß dieses zweiten Abschnitts meiner Überlegungen: Die der menschlichen Person in ihrer gesamten leib-geistigen Wirklichkeit geschuldete Antwort muß einem Sein gerecht werden, dem von sich aus eine Eigenwahrheit innewohnt, welche, anstatt von der Freiheit gemessen zu werden, selber Maßstab der Freiheit ist. So verstanden ist daher das Maß der Freiheit die Natur der menschlichen Person - und das Kriterium für eine Betätigung unserer Freiheit liegt im Naturgesetz, das in der metaphysischen Konstitution der Person selbst eingeschrieben ist.

 

C) Der gerade zitierte Text von Nietzsche rührt uns zum dritten und letzten Schritt dieser Begründung einer personal-ganzheitlichen Sicht des Menschen. Mit erbarmungsloser Ehrlichkeit nimmt Nietzsche eine Gegebenheit zur Kenntnis, gegen die die erlösende Kraft menschlicher Freiheit überhaupt nichts vermag. Diese Feststellung löst in ihm die Haltung der Wut aus gegenüber der Unmöglichkeit, eine Erlösung zu bewirken, die nunmehr als illusorisch erscheint. Ist angesichts dieser Vorgegebenheit überhaupt eine andere Haltung möglich? Das hangt offenbar letzlich, sei es im theoretischer, sei es im ethischen Bereich, von der Deutung dieser Tatsache ab. Ausgehend von zitierten Text ist unser Problem exakt folgendes: Ist das Faktum, auf das die menschliche Freiheit Stößt, einfach eine (sinnlose) Gegebenhelt - etwas, was es gibt -, oder aber geht es dabei um ein Geschenk, das dem Menschen von einem anderen gemacht wird? Wie leicht einleuchtet, geht es hier um das zentrale Problem der Schöpfungswahrheit. Wenn die Gegebenheit, die ich vorher als Natur der menschlichen Person bezeichnet habe, Ergebnis eines schöpferischen Aktes ist, dann verliert sie den Anschein, den sie bei Nietzsche besitzt, und bekommt die Bedeutung eines Geschenkes, das unserer Freiheit gemacht worden ist, und zwar von Person zu Person. Ist sie aber nicht das Ergebnis eines schöpferischen Aktes, dann bedeutet sie nur ein Hindernis für die schöpferische Freiheit unseres Geistes.

Die Schöpfungswahrheit ist die Grundlage dieses Gehorsamsverhältnis, in der die Person “herrscht” und erlöst wird (Deus, cui servire regnare est); die Leugnung dieser Wahrheit versetzt die Person in eine illusorische Kreativität, von der sie zerstört wird.

Um diesen dritten Abschnitt abzuschließen: Eine personalganzheitliche Sicht des Menschen erweist sich nur möglich als Konsequenz der Schöpfungswahrheit.

 

D) In einem letzten Punkt meiner Überlegungen möchte ich darzulegen versuchen, wie der hier skizzierte Personalismus sich dazu eignet, wirklich eine personal-ganzheitliche Sicht der christlichen Ehe zu begründen.

Gehen wir von zwei einfach beschreibenden Feststellungen aus. Die erste: Von einer Personalistischen Sicht der Ehe zu sprechen, ist gleichbedeutend damit, sie als eine “interpersonale Gemeinschaft der Liebe” zu definieren. Beruht doch das Wesen der Ehe in der interpersonalen Liebe.

Die zweite Feststellung: Eine gewisse Sicht, die personalistisch zu sein vorgibt, gelangt zu Schlußfolgerungen, die u. a. den Aussagen des kirchlichen Lehramts in bezug auf die Sexualethik und die Unauflöslichkeit des Ehebandes widersprechen. Aus beiden einfachen Feststellungen ergibt sich unmittelbar, daß die Mehrdeutigkeit des Begriffes “Personalismus” auch die Mehrdeutigkeit des Begriffes “interpersonale Liebe” mit sich bringt. Ich möchte jetzt zeigen, wie die dreifache theoretische Bedeutung, die wir vorher erörtert haben (A-B-C), uns nun zu einer klaren Sicht der interpersonalen Liebe als Wesen der christlichen Ehe führen kann.

Als Haltung und Akt unseres Geistes hat die Liebe ihren Sitz im Willen. Mehr noch: Wie wir gleich sehen werden, definiert die Liebe unser Willensvermögen, insofern sie dieses aktualisiert und prägt. Wie unsere Erfahrung uns zeigt, ist die Lebe keineswegs ein “primum” (eine Erstgegebenheit) im Leben des Geistes. Sie setzt einen Erkenntnisakt voraus. Nicht nur in zeitlichem Sinne, sondern sozusagen im strukturalen Sinne. Das heißt, daß die ontologische qualität der Liebe ganz und gar von der ontologischen Qualität der Erkenntnis abhängt. Nun aber existieren - wie uns auch unsere Erfahrung vorgängig zu aller theoretischen Überlegung zeigt - Zwei wesentlich voneinander verschiedene Arten des Erkennens: Die sinnliche und die geistige Erkenntnis. Die personale und somit interpersonale Liebe entsteht aus dem geistigen Erkennen (wir werden noch sehen wie). Und dies ist ein überaus wichtiger Punkt, will man eine wirklich personalistische Sicht der Ehe gewinnen.

Weil aber das Erkennen nicht die Apprehensio (das Erfassen) des Selbstseins unseres Bewußtseins, sondern des Seins im Allgemeinen (ens in communi) ist, geht das Liebenwollen in seiner natürlichen Struktur (voluntas-amor ut natura) auf das Lieben wollen des Guten im Allgemeinen (bonum in communi) zurück. Will man nicht einem leeren Formalismus verfallen, so muß diese Ausdrucksweise für eine grundlegende geistige Erfahrung richtig verstehen. “Bonum in communi”, das Gute im-Allgemeinen, meint das Gutsein als solches, nicht dieses oder jenes Gute, nicht das, was für mich oder für dich gut ist, sondern das Gute als Gutes. Mit anderen Worten, der Wille, insofern er aus dem geistigen Erkennen hervorgeht, ist das Vermögen, alles Sein in dem Maße zu lieben, in dem es geliebt zu werden verdient. In diesem Sinne spricht Anselm von einer “affectio justitiae” als Grundlage des geistigen Strebens. Dieses Vermögen, jedem das Seine zu geben, ergibt sich gerade aus der Fähigkeit des Intellektes, mit der Wirklichkeit übereinzukommen (= Wahrheit), anstatt die Wirklichkeit an sich anzupassen (= Irrtum). Beide geistige Vermögen weisen ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander auf. So hängt die Fähigkeit, jedes Seiende so zu lieben, wie es geliebt zu werden verdient, d. h. dem Maß des Eigenwertes jedes Seienden in angemessener Weise zu entsprechen, nicht mit der Tendenz des Willens zu diesem oder jedem Maß an Gutheit zusammen, sondern mit seiner Ausrichtung auf das Gute als solches, über jedes Maß hinaus (bonum in communi).

Die Aktuierung dieses Vermögens - jedes Seiende entsprechend der ihm eigenen Gutheit zu lieben - ist ein Werk der Freiheit (voluntas ut ratio) Erst ihre Entscheidung ermöglicht das Sich-Verwirklichen des personalen Subjekts in seiner Werthaftigkeit vor Gott, wie der wahre Personalismus des christlichen Denkens zu Recht festgestellt hat. Der Personalismus eines Augustinus (“homines sunt voluntates”), eines Pascal (die drei “Ordnungen”), eines Kierkegaard (die drei Stadien, in denen die Existenz sich selbst fixiert). in der Tat, falls die Freiheit diese Fähigkeit nicht benutzt, sondern irgendetwas mehr oder weniger als (auf Grund seiner ontologischen Würde) geschuldet liebt, dann verwirklicht sich die Person selbst, indem sie sich selbst verneint.

Worin besteht nun also diese interpersonale Liebe, die das eigentliche Wesen der Ehe ausmacht? Verzeihen Sie mir, wenn ich, um meine Gedanken möglichst klar zum Ausdruck zu bringen, zum Wortschatz der klassischen Logik greife. Ich unterscheide bei der personalen Liebe, von der die Rede ist, zwischen einen Artbegriff “genus” und einem Artunterschied “differentia specifica”. Der Genus-Begriff: im Seinsuniversum erweist sich die Gutheit, der Wert oder die Würde der Person als einzigartig. Aufgrund ihrer Seinsweise, der Subsistenz, verdient die Person in sich selbst und um ihrer selbst willen geliebt, und nicht für einen anderen Zweck benutzt zu werden. Und das ist eben die grundlegende Struktur der ehelichen Liebe. Der Arturterschied (differentia specifica): Diese Bejahung der Person verwirklicht sich im gegenseitigen und ausschließlichen Schenken des ganzen Selbst an den Anderen, den man einer solchen Anerkennung für wert erachtet. Das Sein des Anderen wird in seiner physischen, psychischen und geistigen Ganzheit angenommen, das Sein der eigenen Person in ihrer physischen, psychischen und geistigen Totalität zum Geschenk gemacht.

Wird jedoch, im Gegensatz dazu, die Person auf eine sich selbst setzende Subjektivität reduziert, dann sind es zwei autonomen Freiheiten, die die eheliche Gegenseitigkeit (wie jegliche andere Reziprozität) entwerfen. Das einzige Kriterium, das diesen Entwurf zu bestimmen hätte, wäre der Konsens der beiden Planenden. Es ist leuchtet ohne weiteres ein, wie diese Auffassung den Weg öffnet für jede mögliche Verneinung des Seins, d. h. für eine Verneinung der Wirklichkeit der Person.

Ich schließe diesen Punkt (2, 1) meiner Überlegung. Eine personalganzheitliche Sicht der christlichen Ehe ist möglich; ja sie ist die einzig wahre Sicht der christlichen Ehe. Allerdings unter einer Bedingung: Daß das christliche Denken sich gänzlich freimacht von der Kategorie der Subjektivität, wie sie in der Moderne entfaltet worden ist.

 

2. 2. Die grundlegende Bedingung 

 

Ich möchte mich nun in diesem letzten Punkt kurz zu dieser grundlegenden Bedingung äußern.

Was ist es denn schließlich, das diese Sicht der Ehe, die sich von der modernen, nur verbal personalistischen Subjektivität bestimmen läßt, in Wirklichkeit anti-personalistisch macht?

Zuerst einmal ist es ihr Unvermögen, die Leiblichkeit in die men schliche Person zu integrieren. Es ist kein Zufall, daß Décartes einem noch radikaleren Dualismus als dem Platonischen gehuldigt hat Wohl gemerkt; Ich sagte: “zu integrieren”. Denn es handelt sich nicht um irgendeine Bejahung oder Verneinung der Leiblichkeit, sondern um eine Bejahung oder Verneinung des personalen Wertes des menschlichen Leibes. Um nicht gerade in den Biologismus zu verfallen, vor der man die Ethik bewahren wollte und gemäß dem der Leib nur eine biologische Realität wäre.

Es sind vor allem auch die großen Meister der zeitgenössischen Literatur (wie zum Beispiel Kafka und Musil), die die andere und noch tiefere antipersonalistische Dimension dieser Sicht durchschaut haben: ihre Unfähigkeit nämlich, eine wirkliche Wechselseitigkeit (Reziprozität) zustande zu bringen. Diese kommt nämlich nur zustande auf Grund der Fähigkeit, über sich selbst hinauszugehen (sich selbst zu transzendieren). Transzendenz ist nicht nur ein metaphysisches Thema, sie hat als zentrales Thema in der Anthropologie zu gelten. Entweder ist der Mensch dazu imstande, über sich selbst hinauszugehen ohne sich selbst zu verlieren, er selbst zu sein, indem er sich überwindet, “in der Hingabe seiner Selbst sich selbst zu finden” wie das Zweite Vatikanum sagt, oder er erweist sich überhaupt als unfähig zu irgendeiner Reziprozität mit einer anderen Person. Nun aber ist das, was die moderne Subjektivität von Anfang an geleugnet hat, gerade diese Fähigkeit. Die Behauptung eines angeblich im Willen grundgelegten Antriebs aus-sich-selbst-hinauszugehen ist theoretisch unzutreffend und auch praktisch zum Scheitern verurteilt. In der Tat, wenn der Geist von seiner Konstitution her außerstande ist, sich selbst zu übersteigen, dann stellt der Wille dazu, diese Transzendenz zustande zu bringen, eine bloße Illusion dar.

Dieser Anti-Personalismus weist aber noch eine dritte Dimension auf. Und zwar ist es die Unmöglichkeit, ein Unterscheidungskriterium dafür anzuführen, was bei der so entstandenen Reziprozität dem Wohl der Person zuwiderläuft und was damit konform ist. Das einzige und in etwa annehmbare Kriterium in diesem Kontext wäre der Konsens der Parteien: Gut wäre das, was die beiden übereinstimmend als gut gelten lassen wollen. Das würde jedoch bedeuten, daß die menschliche Person tatsächlich auch das ist, was sie zu sein vermeint und vorgibt. So wird aber das Sein mit dem Bewußtsein identifiziert, das man vom Sein hat. Mehr noch: es wird vom Subjekt gesetzt. Und so wird die Wirklichkeit der Person vollständig reduziert auf die Interpretation ihrer selbst. Eine Interpretation, die das Kriterium ihrer eigenen Berechtigung in sich selbst trägt; das heißt: sie besitzt überhaupt kein Kriterium! Kierkegaard hat dies richtig gesehen, wenn er von einer Freiheit sprach verstanden als reine Möglichkeit, als Möglichkeit aller Möglichkeiten; eine Umschreibung, die nichts anderes als die Definition der Verzweiflung ist.

So kommen wir nun schließlich zur vierten, wichtigsten und tiefsten Dimension dieses Anti-Personalismus. Die Unmöglichkeit eines Kriteriums (Unterscheidungsmerkmals), von der ich sprach, führt zum Ausschluß einer Betätigung der Freiheit und zum Ausschluß eines jeden Bezugs zum absoluter. Der Mensch, die interpersonale Liebe, die eheliche Gemeinschaft, sie alle verfließen im zeitlichen Fluß der reinen Geschichtlichkeit.

 

Noch ein kurzer Schlußsatz

 

Die Verantwortung des Ethikers erweist sich heute großer dehn je. Der Sinn seines Forschens liegt in der Sorge um den einzigartigen Wert des Humanum. Heute wird dieser einzigartige Wert zwar von niemandem in Frage gestellt. Aber gerade darin liegt die Tragödie: im Namen des Menschen wird der Mensch zugrundegerichtet; im Namen des Personalisiaus die Würde der Person zerstört; in Namen einer personalistischen Sicht die Wahrheit der ehelichen Liebe zunichte gemacht. “Et erit unicuique laus a Deo”, sagt der hl. Paulus. Von jedem von uns ist gefordert, den Menschen zu verteidigen: An erster Stelle ihn zu verteidigen gegen den, der ihn über das menschliche Maß hinausheben will.